Venedig ist einzigartig, weil es auf Holzpfählen errichtet wurde, die tief in den weichen Lagunenboden getrieben wurden. Als die Stadt im 5. Jahrhundert wuchs, verwendeten die Venezianer Eichen- und Erlenholz, das in den sumpfigen Boden gerammt wurde. Da das Holz in einem sauerstoffarmen Milieu liegt, ist es nicht verrottet, was eine erstaunlich stabile Grundlage geschaffen hat – und das seit über tausend Jahren.
Doch trotz dieser genialen Konstruktion war Venedig schon immer anfällig für Bodensenkungen und Überschwemmungen. Die eigentliche Frage ist nicht, ob Venedig sinkt, sondern wie schnell und warum es passiert.
Faktencheck: Ja, Venedig sinkt – aber anders als man denkt
Wissenschaftliche Studien bestätigen, dass Venedig tatsächlich sinkt, aber nicht allein, weil sich die Stadt in den Boden absenkt. Es gibt mehrere Faktoren, die diesen Prozess beeinflussen:
- Natürliche Bodenabsenkung – Der sandige und lehmige Untergrund von Venedig verdichtet sich mit der Zeit unter dem Gewicht der Stadt.
- Grundwasserentnahme – Im 20. Jahrhundert wurde massiv Grundwasser aus der Lagune gepumpt, um die Industrie auf dem Festland zu versorgen. Dies führte zu einem starken Absinken des Bodens. Obwohl dies in den 1970er Jahren gestoppt wurde, war der Schaden bereits angerichtet.
- Anstieg des Meeresspiegels – Der Klimawandel lässt die Meere steigen, was Venedig zunehmend anfälliger für Überschwemmungen macht.
- Tektonische Bewegungen – Laut einer NASA-Studie sinkt Venedig immer noch mit einer Rate von 1–2 Millimetern pro Jahr, wobei einige Bereiche schneller absinken als andere.
Zusammenfassend bedeutet das: Venedig sinkt zwar langsam, aber die größere Bedrohung ist der steigende Meeresspiegel, mit dem die Stadt nicht Schritt halten kann.
Acqua Alta – Die zunehmende Flutgefahr
Die saisonalen Überschwemmungen, bekannt als „Acqua Alta“, sind ein wiederkehrendes Problem in Venedig. Im Herbst und Winter kann das Wasser durch Gezeitenbewegungen in die Lagune gedrückt werden und Plätze sowie Straßen der Stadt überfluten.
Warum passiert das?
- Die Gezeiten der Adria drücken Wasser in die Lagune, besonders bei Stürmen und niedrigem Luftdruck.
- Die Kanäle von Venedig können das überschüssige Wasser nicht schnell genug abführen, was zu Überschwemmungen führt.
- Der steigende Meeresspiegel macht diese Fluten häufiger und schwerwiegender.
Im November 2019 erlebte Venedig die schlimmste Überschwemmung seit 50 Jahren, bei der der Wasserstand 187 cm über dem Normalwert lag und massive Schäden an Geschäften, Kirchen und historischen Gebäuden verursachte.
Das MOSE-Projekt – Kann es Venedig retten?
Um Venedig vor katastrophalen Überschwemmungen zu schützen, hat die italienische Regierung in das MOSE-Projekt (Modulo Sperimentale Elettromeccanico) investiert.
MOSE besteht aus 78 beweglichen Flutsperren, die an den Eingängen zur Lagune platziert wurden. Wenn der Wasserstand über 110 cm steigt, werden die Sperren mit Luft gefüllt und erheben sich über die Wasseroberfläche, um das Meer daran zu hindern, in die Lagune einzudringen.
- Der Bau begann 2003, doch das Projekt wurde von Verzögerungen, Korruptionsskandalen und explodierenden Kosten überschattet.
- Im Oktober 2020 wurde MOSE erstmals eingesetzt und konnte erfolgreich eine Überschwemmung verhindern.
- Kritik an MOSE: Obwohl das System funktioniert, warnen Experten, dass es keine dauerhafte Lösung ist, da es immer häufiger eingesetzt werden muss, wenn der Meeresspiegel weiter steigt.
Kann Venedig langfristig gerettet werden?
Die Rettung Venedigs ist eine enorme Herausforderung. Während MOSE eine kurzfristige Lösung bietet, werden auch andere Maßnahmen diskutiert:
- Anhebung bestimmter Stadtteile – Der Markusplatz, der am stärksten betroffen ist, könnte erhöht werden, um Überschwemmungen zu reduzieren.
- Bau neuer Kanäle und Entwässerungssysteme – Um mit dem steigenden Wasserstand besser umgehen zu können.
- Künstliche Sedimentaufschüttung – Einige Wissenschaftler schlagen vor, Sand und Sedimente unter die Stadt zu pumpen, um das Absinken zu verlangsamen.
- Globale Klimapolitik – Langfristig ist die einzige wirkliche Lösung die Reduzierung der globalen Erwärmung und des Meeresspiegelanstiegs.
Die Zukunft Venedigs – Mythos oder echte Gefahr?
Also, sinkt Venedig? Die Antwort ist ja – aber nicht so dramatisch, wie manche Schlagzeilen vermuten lassen.
- Die Stadt sinkt mit 1–2 mm pro Jahr, aber die größere Gefahr ist der steigende Meeresspiegel.
- Überschwemmungen werden immer häufiger, doch MOSE hat sich als kurzfristige Lösung bewährt.
- Ohne zusätzliche Maßnahmen könnten Teile von Venedig innerhalb von 100 Jahren unbewohnbar werden.
Trotz dieser Herausforderungen bleibt Venedig eine der faszinierendsten Städte der Welt. Der Tourismus ist dabei Fluch und Segen zugleich – er hält die Wirtschaft am Leben, trägt aber auch zur Umweltbelastung bei.
Wenn Venedig für zukünftige Generationen erhalten bleiben soll, braucht es eine Kombination aus Ingenieurwesen, Umweltpolitik und internationaler Zusammenarbeit. Die Stadt hat über tausend Jahre überdauert – die Frage ist, wird sie die nächsten hundert Jahre überstehen?
Also, wenn du das nächste Mal über die Rialtobrücke gehst oder mit einer Gondel durch die Kanäle fährst, denke daran: Du erlebst eine Stadt, die gegen die Zeit, das Wasser – und ihr eigenes Schicksal kämpft.